Editor for this issue: Erin Steitz <ensteitzlinguistlist.org>
Journal: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi)
Issue: Sprachlicher Klassismus
Call Deadline: 30-Jun-2025
Themenheft LiLi – Florian Busch, Karina Frick, Constanze Spieß (Hrsg.)
Sprachlicher Klassismus
Klassismus gehört zu den Diskriminierungsformen, denen sowohl gesamtgesellschaftlich als auch sozial- und geisteswissenschaftlich bislang verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist (vgl. Seeck 2022: 1). Klasse bezeichnet dabei soziale Kollektive, die sich in Formen der Lebensführung und Arbeit gleichen und die zudem einen ähnlichen Zugang zu verschiedenen Ressourcen – bzw. im Sinne von Bourdieu (2022 [1972]) Kapitalsorten – teilen (vgl. Reckwitz 2021: 274). Diese strukturellen Gemeinsamkeiten münden in einen Klassenhabitus, verstanden als die inkorporierten Praktiken, mit denen Klassenzugehörigkeit und Klassendistinktion sowohl hergestellt als auch angezeigt werden (vgl. Bourdieu 2022 [1972]: 187). Distinktion aufgrund unterschiedlicher Verfügbarkeiten von ökonomischen, kulturellen und sozialen Ressourcen als soziale Ungleichheit und Machtasymmetrie legt so den Boden für Klassismus als Diskriminierungsform. Dabei handelt es sich um „einen komplexen, teils bewussten, teils unbewussten Prozess der Herstellung von hierarchischen Bewertungssystemen, abgeleitet aus der Klassenzugehörigkeit oder manchmal auch aus der vermuteten (zum Beispiel aufgrund von Kleidung, Sprache) Klassenzuschreibung“ (Kemper/Weinbach 2022: 21).
Angesichts der Bedeutung, die soziologische Arbeiten sprachlichen und kommunikativen Praktiken für die Herstellung von Klassenzugehörigkeit und klassistischer Diskriminierung beimessen, ist die – insbesondere im deutschsprachigen Forschungsdiskurs – eher marginale Bearbeitung des Themas in der Sprachwissenschaft bemerkenswert. Zwar hat bereits die frühe Soziolinguistik in Anschluss an Bernstein (1964) klassenspezifischen Sprachgebrauch thematisiert und auch im Zuge einer sich jüngst formierenden „kritischen Soziolinguistik“ (vgl. Busch/Flubacher/Spitzmüller i. Ersch.) stehen zunehmend Klasse und klassistisch diskriminierende Sprachpraktiken im Erkenntnisinteresse – allerdings sind diese Bemühungen einerseits disziplinär fragmentiert, ohne dass linguistische Perspektiven auf Klassismus je gebündelt relevant gesetzt wurden (wie dies z.B. im Vergleich für die soziale Dimension Gender in Gestalt der Genderlinguistik umgesetzt wurde, vgl. Günthner/Hüpper/Spieß 2012). Andererseits bleibt die linguistische Studienlage zu klassistischen Sprachpraktiken vor allem auch vor der Vergleichsfolie linguistischer Arbeiten zu anderen Diskriminierungsformen dünn (vgl. etwa Flubacher 2021 zu Sprache und Rassismus). Im Zuge einer intersektionalen Perspektivierung diskriminierender sprachlicher und kommunikativer Praktiken (vgl. Levon 2015; Akbaba/Salzmann-Hoang 2024) möchte dieses Themenheft in diesem Sinne den analytischen Blick auf klassenbezogene Ungleichheiten im kommunikativen Alltag schärfen und zu anderen Diskriminierungsdimensionen in Relation setzen.
Das Themenheft versammelt hierzu Beiträge, die sich anhand der folgenden drei Themenbereiche und exemplarischen Fragestellungen ordnen lassen. Dabei können jeweils sowohl Phänomene in den Blick genommen werden, in denen sprachlicher Klassismus explizit diskursiver Gegenstand wird, als auch implizitere Formen der diskriminierenden Indizierung sozialer Klasse.
• Sprachlicher Klassismus im öffentlichen Raum
Wie werden Klasse und Klassismus im öffentlichen Raum sichtbar und erfahrbar? Wo und wie lassen sich im öffentlichen Raum diskursive Ausblendungen und Exklusionen von Klasse (z.B. in Form „defensiver Architektur“) beobachten und in welche Diskurse sind diese Prozesse eingebettet? Welche Genres in der öffentlichen Sprachlandschaft indi-zieren Klasse und Klassismus? Welche Gesprächspraktiken und Gesprächsformationen im öffentlichen Raum werden klassenbezogen produziert/interpretiert und welche Diskriminierungsformen schließen sich daran möglicherweise an (vgl. Steen 2020)?
• Sprachlicher Klassismus in Institutionen
Wie werden Klasse und Klassismus in Institutionen sichtbar und erfahrbar? Welche Diskurse liegen strukturellen Exklusionsmechanismen in Institutionen zugrunde (vgl. Busch/Frick i. Ersch.)? Inwiefern fließen Klasse und Klassismus in Machtasymmetrien in institutionellen Gesprächen ein (z.B. Ärzt:in/Patient:in-, Lehrer:in/Schüler:in-, Do-zent:in/Student:in-, Chef:in/Mitarbeiter:in-Kommunikation, vgl. Pick 2020)? Wie spielen sprachlicher Klassismus und Selektionspraktiken im Verlauf von Bildungsbiographien zusammen? Wie geht individuelles Spracherleben mit sozialer Mobilität einher (vgl. Busch 2017)?
• Sprachlicher Klassismus in Medien
Wie werden Klasse und Klassismus in Medien sichtbar und erfahrbar? Welche stereotypen Darstellungen lassen sich in massenmedialen Diskursen beobachten (z.B. im sogenannten „Unterschichtsfernsehen“ oder auch in journalistischen Dokumentationen, vgl. Klaus/Röser 2008; Steinwachs 2015)? Welche Instrumentalisierungen von klassistischen Klischees lassen sich im politischen Diskurs untersuchen (z.B. die soziale Persona des ‚Bürgergeldempfängers‘, vgl. Szurawitzki 2012)? Wie wird sprachliche Variation in digitalen Medien vor der Folie klassistischer Ideologien produziert und interpretiert? Wie wird die sprachliche/multimodale Produktion von Klasse kommunikative Ressource in digitalen Medien (z.B. in Form von Memes oder Stilisierungen in digitalen Interaktionen)?
Wir freuen uns über theoretische sowie empirische Beiträge aus Soziolinguistik, Diskurslinguistik, Medienlinguistik, Gesprächsanalyse und Angewandter Linguistik, die diese Themenbereiche bearbeiten. Schicken Sie hierzu ein Abstract (300 bis 500 Wörter exklusive Bibliographie) an [email protected] bis zum 30.06.2025. Rückmeldung erhalten Sie bis Ende August. Die Einreichung der finalen Beiträge erfolgt bis 01. September 2026.
Literaturverzeichnis
Akbaba, Yalız/ Salzmann-Hoang, Nguyen Minh (2024): Intersektionalität und Sprache. Überlegungen zur Kritik am methodologischen Linguizismus. In: Zeitschrift für Migrationspädagogische Zweitsprachdidaktik. Online verfügbar: https://journals.univie.ac.at/index.php/mpzd/article/view/9058/9167.
Bernstein, Basil (1964): Social class, speech systems and psycho-therapy. In: British Journal of Sociology 15(1), S. 54–64.
Bourdieu, Pierre (2022 [1972]): Entwurf einer Theorie der Praxis: auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. 6. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Busch, Brigitta (2017): Expanding the notion of the linguistic repertoire. On the concept of Spracherleben. The lived experience of language. In: Applied Linguistics 38(3), S. 340–358.
Busch, Florian/Flubacher, Mi-Cha/Spitzmüller, Jürgen (Hrsg.) (i. Ersch.): Sprache und soziale Ungleichheit. Wege zu einer kritischen Soziolinguistik.
Busch, Florian/Frick Karina (i. Ersch.): Soziale Positionierung in Grammatik-Einführungswerken: Eine framesemantische Analyse klassistischer Ideologien in linguistischen Beispielsätzen. In: Busch, Florian/Flubacher Mi-Cha/Spitzmüller, Jürgen. Sprache und soziale Ungleichheit. Wege zu einer kritischen Soziolinguistik.
Flubacher, Mi-Cha (Hrsg.) (2021): Sprache und Rassismus. Wiener Linguistische Gazette (WLG) (88).
Günthner, Susanne/Hüpper, Dagmar/Spieß, Constanze (Hrsg.) (2012): Genderlinguistik. Sprachliche Konstruktionen von Geschlechtsidentität. Berlin: De Gruyter. https://doi.org/10.1515/9783110272901.
Kemper, Andreas/Weinbach, Heike (2022): Klassismus. Eine Einführung. 5. Auflage. Münster: UNRAST-Verlag.
Klaus, Elisabeth/Röser, Jutta (2008): „Unterschichtenfernsehen“: Beobachtungen zum Zusammenhang von Medienklassifikationen und sozialer Ungleichheit. In: Wischermann, Ulla/Thomas, Tanja (Hrg.). Medien — Diversität — Ungleichheit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozi-alwissenschaften. S. 263–279. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90860-1_14.
Levon, Erez (2015): Integrating Intersectionality in Language, Gender, and Sexuality Research. In: Language and Linguistics Compass 9(7), S. 295–308. https://doi.org/10.1111/lnc3.12147.
Pick, Ina (2020): Prekarität im Gespräch. In: Wiener Linguistische Gazette (WLG) (85), S. 65–100.
Reckwitz, Andreas (2021): Die Gesellschaft der Singularitäten: zum Strukturwandel der Moderne. 5. Auflage. Berlin: Suhrkamp.
Seeck, Francis (2022): Zugang verwehrt. Keine Chance in der Klassengesellschaft: wie Klassismus soziale Ungleichheit fördert. 1. Auflage. Zürich: Atrium Verlag.
Steen, Pamela (2020): Prekarität und Place-Identity. Wie Erwerbslose in ihren Gesprächen soziale Unsicherheit konstruieren und Agency kommunikativ aushandeln. In: Wiener Linguistische Gazette (WLG) (85), S. 25–63.
Steinwachs, Britta (2015): Zwischen Pommesbude und Muskelbank: die mediale Inszenierung der „Unterschicht“. Münster: Edition Assemblage.
Szurawitzki, Michael (2012): Übergewicht und zwei Kinder = Hartz IV? Bildlinguistische Überlegungen zur Hartz-IV-Berichterstattung in der Tagesschau der ARD. Muttersprache 122, S. 298-307.
Linguistic Field(s): Anthropological Linguistics
Applied Linguistics
Discourse Analysis
Sociolinguistics
Page Updated: 14-May-2025
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