LINGUIST List 36.924

Fri Mar 14 2025

Calls: Digitale Kommunikation im Prozess: Zeitlichkeit in Variation, Interaktion und Text (Switzerland)

Editor for this issue: Erin Steitz <ensteitzlinguistlist.org>



Date: 14-Mar-2025
From: Julie Täge <textingintime.germunibe.ch>
Subject: Digitale Kommunikation im Prozess: Zeitlichkeit in Variation, Interaktion und Text
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Full Title: Digitale Kommunikation im Prozess: Zeitlichkeit in Variation, Interaktion und Text

Date: 02-Oct-2025 - 03-Oct-2025
Location: Bern, Switzerland

Linguistic Field(s): Applied Linguistics; Pragmatics; Sociolinguistics

Call Deadline: 30-Apr-2025

Call for Papers:

Zeit und ihre soziale Aneignung in Praktiken der Zeitlichkeit stellen als fundamentale menschliche Erfahrungs- und Handlungsdimensionen zentrale Gegenstände der Erforschung von Sozialität und Kultur dar (vgl. Munn 1992). So bildet einerseits die Orientierung an Vergangenem sowie andererseits die Antizipation von Zukünftigem die Basis von gemeinschaftlich koordinierten Handlungsabläufen im Sinne von Problemlösungsstrategien (vgl. Baur 2005): Soziales Handeln ist ein zeitliches, prozessuales Phänomen. Dies gilt im Speziellen auch für Praktiken sprachlicher Kommunikation, mit denen Individuen intersubjektive Bedeutung herstellen (vgl. Deppermann/Feilke/Linke 2016).
Im Workshop möchten wir uns dieser Prozessualität von Sprachgebrauch im Kontext digitaler Kommunikation widmen und fragen, welche sprachlichen bzw. kommunikativen Praktiken Akteur:innen in Orientierung an den Zeitlichkeitsbedingungen digitaler Kommunikationsmedien emergent hervorbringen und als Routinen etablieren. Wir knüpfen damit zum einen an medienlinguistische Arbeiten an, die aufgezeigt haben, welche sprachlichen und kommunikativen Anforderungen und Handlungsmöglichkeiten mit asynchronen sowie (quasi-)synchronen Kommunikationsformen einhergehen (vgl. Dürscheid 2003) und wie interaktionaler Sprachgebrauch in digital-vermittelten Kommunikationskontexten sequenziell organi-siert wird (vgl. Beißwenger 2020; König 2015). Zum anderen möchten wir im Workshop den Blick auf temporale Agentivität, temporale Regime und Zeitlichkeitsideologien von Mediennutzer:innen richten und fragen, wie Zeitlichkeit im Sinne von «social time» (Cipriani 2013; Southerton 2020) in digitaler Kommunikation produziert und bedeutsam gemacht wird (vgl. Androutsopoulos 2024; F. Busch 2025; Kitchin 2023; Licoppe/Smoreda 2006; Wajcman 2015).
Von Interesse sind dabei sowohl situierte Praktiken in der interaktionalen Koordination (etwa die Rhythmisierung von Nachrichtenwechseln, Tippgeschwindigkeiten, Splitting von Audio- oder Textnachrichten, verzögerte Reaktionen oder Praktiken der Synchronisation und De-Synchronisation usw.) als auch die temporale Praxis digitalisierter Kommunikationsalltage (vgl. Hepp/Krotz 2012), in denen ein Individuum beständig an verschiedenen sozialen Temporalitäten – des Berufs, der Familie und der Freundeskreise – sowie algorithmischen Temporalitäten (etwa in Form von algorithmisch kuratierten Social-Media-Feeds bzw. ‘time-lines’) teilhat und insbesondere durch mobile Kommunikationsmedien wie das Smartphone räumlich und zeitlich flexibilisiert produziert. So ist angesichts dieser polychronen Überlagerung von sozialen Arenen etwa nach der raum-zeitlichen Organisation und Navigation von Sprachrepertoires sowie der zeitlichen Flexibilisierung von Identitätskonstruktionen im digitalen Medienalltag zu fragen (vgl. Androutsopoulos 2021; B. Busch 2012; F. Busch 2024).
An der Schnittstelle von Interaktionaler Linguistik, Medienlinguistik, Soziolinguistik und Schriftlinguistik möchten wir im Rahmen des Workshops Zeitlichkeit in digitaler Kommunikation anhand von drei konzeptuellen Schlagwörtern in den Blick nehmen:

1. Variation: Welche temporalen Praktiken digitaler Kommunikation lassen sich empirisch beobachten und wie variieren sie zwischen Individuen, Praxisgemeinschaften, Medien- bzw. Kommunikationsformen und Interaktionsmodalitäten? Inwiefern wird die Variation von temporalen Strukturen in digitaler Kommunikation von Akteur:innen metakommunikativ reflektiert? Lässt sich sprachliche bzw. multimodale Variation in digitalen Medienalltagen in ihrer zeitlichen Ordnung empirisch fassen und erklären? Welche Methoden sind für eine solche Perspektivierung erforderlich?

2. Interaktion: Welche Rolle spielen temporale Affordanzen und Beschränkungen von digi-talen Kommunikationsmedien für die Organisation von Interaktionen? Welche Praktiken des Multitaskings und der Mehrfachbeteiligung entwickeln Akteur:innen angesichts zeitlich verdichteter digitaler Kommunikationsanlässe? Wie gehen diese Mehrfachbeteiligungen mit Code-Switching einher? Inwiefern kontextualisieren Interaktionsbeteiligte ihre kommunikativen Handlungen zeitlich – etwa durch Rhythmisierungen (vgl. Jones 2013; Tagg/Lyons 2024) oder auch explizite Accounts, die sich auf Zeit und Zeitlichkeit beziehen (zum Beispiel in Form von Meta-Kommentierung in Audionachrichten, vgl. König/Hector 2017)?

3. Text: Wie gestalten sich Prozesse der Textproduktion unter den Zeitlichkeitsbedingungen digitaler Kommunikationsmedien? Wie sind Teilprozesse der Planung, Versprachlichung, Revision und Veröffentlichung von Texten in die temporale Sequenzialität digitaler Kommunikation eingebunden und welche Handlungsspielräume ergeben sich hierbei für Textproduzent:innen (vgl. Beißwenger 2020)? Welche Zeitlichkeitsbezüge sind in digitale Texte eingeschrieben und wie prägen diese Bezüge die Produktion und Rezeption von Texten (vgl. Pick/Scarvaglieri 2023)? Welche Relation besteht zwischen den hypertextu-ellen Vernetzungen von digitalen Kommunikaten und den algorithmischen Anordnungen von Texten (etwa in Form von Social-Media-Feeds) einerseits und den zeitlich strukturierten Handlungsabläufen von Rezipierenden andererseits (vgl. Bubenhofer 2019)?

Diese teils zueinander querliegenden Phänomenbereiche möchten wir im Workshop auf the-oretischer, methodologischer sowie empirischer Ebene diskutieren. Wir freuen uns über Vorschläge für Einzelvorträge und Werkstattberichte aus aktuellen Forschungsvorhaben (20 Min. + 10 Min. Diskussion) sowie praktisch ausgerichteten Workshop-Inputs, die sich mit Methoden temporaler Analysen in digitalen Kommunikationskontexten beschäftigen (45 min). Bei Interesse schicken Sie uns bitte bis zum 30.04.2025 ein Abstract (ca. 500 Wörter) an [email protected]. Bitte beziehen Sie sich darin explizit auf diesen Call for Papers, sodass erkennbar ist, mit welchen der skizzierten Themenfelder und Fragen Sie sich befassen.

Literatur
Androutsopoulos, Jannis (2024): Zeit und Zeitlichkeit in der digitalen Kommunikation. In: Androutsopoulos, Jannis/Vogel, Friedemann (Hg.): Handbuch Sprache und digitale Kommu-nikation. Berlin: De Gruyter, 71–92. doi: 10.1515/9783110744163-004.
Androutsopoulos, Jannis (2021): Polymedia in interaction. In: Pragmatics and Society 12 (5), 707–724.
Baur, Nina (2005): Verlaufsmusteranalyse. Methodologische Konsequenzen der Zeitlichkeit sozialen Handelns. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. doi: 10.1007/978-3-322-90815-5.
Beißwenger, Michael (2020): Internetbasierte Kommunikation als Textformen-basierte Inter-aktion: ein neuer Vorschlag zu einem alten Problem. In: Marx, Konstanze/Lobin, Hen-ning/Schmidt, Axel (Hg.): Deutsch in Sozialen Medien. Berlin: De Gruyter, 291–318.
Bubenhofer, Noah (2019): Social Media und der Iconic Turn: diagrammatische Ordnungen im Web 2.0. In: Diskurse - digital 1(2), 114–135. doi: 10.5167/UZH-195738.
Busch, Brigitta (2012): The Linguistic Repertoire Revisited. In: Applied Linguistics 33 (5), 503–523. doi: 10.1093/applin/ams056.
Busch, Florian (2025): Texting in Time: Approaching time and temporalities of smartphone-based interactions. In: Language & Communication 100, 196–211. doi: 10.1016/j.langcom.2024.12.005.
Busch, Florian (2024): Chronotopische Identitäten in Smartphone-basierten Interaktionen. Biografie, Repertoire und mehrsprachige Praktiken im digitalen Alltag. In: Zeitschrift für Lite-raturwissenschaft und Linguistik 54, 465–493. doi: 10.1007/s41244-024-00346-1.
Cipriani, Roberto (2013): The many faces of social time. A sociological approach. In: Time & Society 22 (1), 5–30. doi: 10.1177/0961463X12473948.
Deppermann, Arnulf/Feilke, Helmuth/Linke, Angelika (2016): Sprachliche und kommunikative Praktiken. Berlin: De Gruyter.
Dürscheid, Christa (2003): Medienkommunikation im Kontinuum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Theoretische und empirische Probleme. In: Zeitschrift für Angewandte Lingu-istik 38, 37–56.
Hepp, Andreas/Krotz, Friedrich (2012): Mediatisierte Welten. Forschungsfelder und Beschreibungsansätze. Zur Einleitung. In: Krotz, Friedrich/Hepp, Andreas (Hg.): Mediatisierte Welten. Beschreibungsansätze und Forschungsfelder. Wiesbaden: Springer VS, 227–256.
Jones, Rodney H. (2013): Rhythm and timing in chat room interaction. In: Herring, Susan/Stein, Dieter/Virtanen, Tuija (Hg.): The Pragmatics of Computer Mediated Communica-tion. Berlin: De Gruyter, 489–514.
Kitchin, Rob (2023): Digital timescapes: technology, temporality and society. Cambridge Ho-boken: Polity.
König, Katharina (2015): Dialogkonstitution und Sequenzmuster in der SMS- und WhatsApp-Kommunikation. In: Travaux neuchâtelois de linguistique 63, 87–107.
König, Katharina/Hector, Tim Moritz (2017): Zur Theatralität von WhatsApp-Sprachnachrichten. Nutzungskontexte von Audio-Postings in der mobilen Messenger-Kommunikation. In: Networx 79. doi: 10.15488/2970.
Licoppe, Christian/Smoreda, Zbigniew (2006): Rhythms and Ties: Toward a Pragmatics of Technologically Mediated Sociability. In: Kraut, Robert/Brynin, Malcolm/Kiesler, Sara (Hg.): Computers, Phones, and the Internet: Domesticating Information Technology. Oxford: Ox-ford Academic, 296–314.
Munn, Nancy D. (1992): The Cultural Anthropology of Time. A Critical Essay. In: Annual Re-view of Anthropology 21 (1), 93–123. doi: 10.1146/annurev.an.21.100192.000521.
Pick, Ina/Scarvaglieri, Claudio (2023): Zeitlichkeit beim Handeln mit Texten. In: Pappert, Steffen/Roth, Kersten Sven (Hg.): Zeitlichkeit in der Textkommunikation. Tübingen: Narr Francke Attempto, 39–62.
Southerton, Dale (2020): Time, Consumption and the Coordination of Everyday Life. London: Palgrave Macmillan UK. doi: 10.1057/978-1-349-60117-2_1.
Tagg, Caroline/Lyons, Agnieszka (2024): Conversational rhythm as a disconnective practice among middle-aged adults in situated mobile-messaging interactions. In: Journal of Pragmatics 229, 56–70. doi: 10.1016/j.pragma.2024.05.006.
Wajcman, Judy (2015): Pressed for time. The acceleration of life in digital capitalism. Chicago London: The University of Chicago Press.

Invited speakers:

Christa Dürscheid (Universität Zürich)

Michael Beißwenger (Universität Duisburg-Essen)

Organisers:

Florian Busch, Jasmin Lallo, Julie Täge




Page Updated: 02-May-2025


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